SO WAR DIE STADTARBEIT 2021!
Am Eröffnungstag der VIENNA DESIGN WEEK schritten Besucher*innen und Pressevertreter*innen über Otto Wagners Döblinger Steg Richtung Rampengasse, wo die brachliegende Trasse der ehemaligen Stadtbahn mit ihrem resedagrünen Geländer für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Zumindest ein Teil davon.
Es sind Projekte wie dieser temporäre High Line Park, die den Beweis erbringen, dass Social Design in der Auseinandersetzung mit den ständigen Veränderungen im urbanen und gesellschaftlichen Gefüge vielgestaltige neue Wege des Miteinanders bereiten kann. Mit präzisen architektonischen (Marlene Lübke-Ahrens / Wolfgang Novotny), therapeutisch-präventiven (Max Scheidl) und digital-demokratischen (IDRV – Institute of Design Research Vienna) gestalterischen Eingriffen schufen die drei Siegerprojekte des Erste Bank MehrWERT-Designpreises ganz unterschiedliche Freiräume im und für den Fokusbezirk Brigittenau.
Das Social Design-Format Stadtarbeit ist seit vielen Jahren Teil der VIENNA DESIGN WEEK und wird mit Unterstützung des MehrWERT-Sponsoringprogrammes der Erste Bank und in Zusammenarbeit mit der Caritas Wien realisiert.
viennadesignweek.at/review/2021/stadtarbeit-vermehrt-schoenes
MISSING-LINK: EIN VERSATZSTÜCK DER STADTBAHN
Marlene Lübke-Ahrens / Wolfgang Novotny
Der New Yorker High Line Park ist weltbekannt. Was viele – zumindest bis zur VIENNA DESIGN WEEK 2021 – nicht wussten: Auch in Wien gibt es ein ehemaliges Bahnviadukt, das seit vielen Jahren ungenutzt ist. Mit dieser gegebenen infrastrukturellen Situation zwischen dem 19. und dem 20. Wiener Gemeindebezirk beschäftigte sich das Projekt MISSING-LINK, das einen Teil der neun Meter breiten und einen Kilometer langen Fläche durch ein bisher fehlendes bauliches Bindeglied zwischen dem Franz-Ippisch-Steg und dem Gleisbett der stillgelegten Stadtbahn nutzbar machte – und wie! Mit dem Festivalpublikum jubilierte auch die Fachjury des Erste Bank MehrWERT-Designpreises und bedachte MISSING-LINK mit dem höchstdotierten Preis: „Einen Perspektivenwechsel herzustellen, ist eines der vielen Potenziale von im sozialen Kontext gedachter Gestaltung und Architektur. Mit dem Überbrücken einer übersehenen Fehlstelle im Gefüge der Stadt hat das Projekt das erreicht und das entstandene Potenzial erfolgreich mit Inhalten gefüllt, wobei das Verhältnis von punktuellem gestalterischem Eingriff und konkreten Angeboten überzeugt hat. Die Projektant*innen haben sich durch großes persönliches Engagement, organisatorische Verlässlichkeit und planerische Präzision mit sozialem Augenmaß hervorgetan.“ MISSING-LINK verdeutlichte, dass der Weg zum Wiener High Line Park kein weiter ist: Nur wenige Stufen fehlen, um den Höhenunterschied zwischen Steg und ehemaliger Gürtellinie zu überwinden. Für die Dauer des Festivals wurde die Brache auf den Stadtbahnbögen erschlossen, von unterschiedlichen Akteur*innen bespielt und Freiraum somit genau dort initiiert, wo dieser bisher nicht möglich war. Bahnbrechend? Jedenfalls zukunftsweisend! KLICK
ARTISANS OF PUBLIC PSYCHE
Max Scheidl
Hier die Fragen, dort (vielleicht) die Antworten: „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, schreib mir auf Instagram“, hat ein Passant als Botschaft für nachfolgende Besucher*innen hinterlassen. Eine andere Besucherin wiederum nutzte den auditiven Kummerkasten, um ihren Unmut über eine falsche Wegbeschreibung loszuwerden, berichtet Max Scheidl. Beides waren Aktionen, die der Designer durch gezieltes Fragen provozierte: „Was nervt dich gerade so richtig? Was könnte deiner Psyche guttun? Und wann hast du einer fremden Person das letzte Mal etwas Nettes gesagt?“ Mit seiner an drei öffentlichen Plätzen der Brigittenau (Sachsenpark, U6-Station Handelskai, Hugo-Gottschlich-Park) durchgeführten Aktion lud Scheidl ein, Antworten mithilfe von spielerischen Kommunikationstools zu geben: Geschichten wurden gesammelt, Technologien hinterfragt und ein Austausch über schöne und weniger schöne Lebenserfahrungen angeregt. Das Projekt sollte die Lücke zwischen professioneller und fehlender Hilfe füllen – und trat der Stigmatisierung von psychischer Belastung in einer Zeit entgegen, in der das noch dringlicher geworden ist.
Ergebnis der Intervention sind mögliche Strategien, die uns bestenfalls ein klein wenig widerstandsfähiger für zukünftige Herausforderungen machen. Das Jurystatement: „Resilienz im Großen, im Gemeinsamen kann ohne stabile Teilhabende nicht funktionieren. In diesem Sinn hat Max Scheidl Interventionen mit überraschendem Potenzial zum Tiefgang gestaltet. Seine Artisans machen auf die Wichtigkeit der Fürsorge des seelischen Wohlbefindens aufmerksam und vermitteln Bewusstsein für psychologische Resilienz im Alltag. Getragen vom einnehmenden wie auch behutsamen Auftreten des Projektanten bietet das Projekt Teilnehmenden niederschwellige und spielerische Handlungsansätze.“ KLICK
IM20.WIEN – WAS STÄRKT DIE LOKALE GEMEINSCHAFT?
DRV – Institute of Design Research Vienna
„Das Projekt hat herausgearbeitet, dass nachbarschaftliche Resilienz auch ein Thema von Organisation ist“, bemerkte die Jury in ihrem Statement. Mit IM20.WIEN hatte das IDRV – Institute of Design Research Vienna untersucht, wie sich Gesellschaften in physischen und digitalen Räumen formieren und organisieren. Als Werkzeug diente eine geteilte Google Docs-Liste, über die kollektives Know-how der Bezirksgemeinschaft abgerufen werden sollte: „Mithilfe der niederschwelligen (und auch kritisch zu diskutierenden) Technologie, die auch von sozialen und politischen (Protest-)Bewegungen wie dem Black Lives Matter Movement genutzt wird, kann das Wissen unterschiedlichster Menschen binnen kurzer Zeit gesammelt und einfach strukturiert für alle zugänglich gemacht werden“, hieß es dazu in der Programmankündigung. Der entstandene Wissenspool über lokale Initiativen und Ideen zum sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Zusammenleben im 20. Bezirk bekam während der VIENNA DESIGN WEEK die gewünschte Sichtbarkeit im Stadtraum und wurde vor Ort zum Gegenstand eines Dialoges zwischen den Festivalbesucher*innen und den Bewohner*innen der Brigittenau. Die Jury: „Das umgesetzte Projekt zeigt vor, wie ein Prozess aussehen könnte – offen, dezentral, digital gestützt, gleichberechtigt und partizipativ. Die Umsetzungsvorschläge zeigen aber auch, welchen Herausforderungen sich neue Methoden zur nachbarschaftlicher Vernetzung zu stellen haben.“ KLICK
Mit herzlichem Dank an die Erste Bank!